GELD-Magazin, Mai 2019
I talien hielt vergangenes Jahr Europa und die Märkte mit seinem EU-kri- tischen Wahlgetöse und der populis tischen Lega-5-Sterne-Koalition in Atem. Heuer startet der zweite Akt des italie- nischen Dramas mit miserablen Wirt- schaftsaussichten. Das noch im Februar von Ministerpräsident Giuseppe Conte optimistisch prophezeite „anno bellissi- mo“ 2019 scheint zwei Monate später nämlich gar nicht mehr so wunderschön. Mitte April wurde die Wachstumsprogno- se von 1,0 auf 0,2 Prozent gesenkt, das italienische Defizitziel von 2,04 auf 2,40 Prozent erhöht – auf genau jenen Wert, der bei den letztjährigen Haushaltsver handlungen mit der EU noch zur Andro- hung eines Defizitverfahrens führte. Zwar befindet sich Italien immer noch unter der allgemeinen Drei-Prozent- Maastricht-Defizitvorgabe, doch im Hin- blick auf Italiens exorbitanten Schulden- berg droht jede Neuverschuldung durch das fehlende Wachstum dramatische Auswirkungen auf die langfristige Schul- dentilgung zu haben. Mit 132,2 Prozent des BIP (2364 Mrd. Euro) weist Italien nach Griechenland die zweithöchste Staatsverschuldung der Euroländer auf. Ein absehbares Bekenntnis Für die meisten Analysten kamen die aktuellen Meldungen wenig über- raschend. Denn Italien ist Ende letzten Jahres als einziges Land innerhalb der Europäischen Union bereits in eine Re- zession gerutscht und die angepeilten Reformen der populistischen Regierung dürften die Lage zusätzlich verschlech- tern – zumindest wenn es nach dem In- ternationalen Währungsfonds (IWF) und sel zu Wachstumsimpulsen darstellt. Die Auswirkungen des Bürgereinkommens hängen laut OECD stark von Verbesse- rungen der Arbeitsuche ab. Von der Re- duktion des Pensionsantrittsalters er- wartet man nur negative Effekte auf das Wachstum, da sie mittelfristig ältere Ar- beitskräfte entfernt und die Verschul- dung erhöht. Selbst das italienische Fi- nanzministerium schätzt die Auswir- kungen in ihrem kürzlich publizierten Frühlings-Budgetdokument eher gering ein. Entgegen den hohen Erwartungen der Regierung soll das Bürgereinkom- men nur 0,2 bis 0,5 Prozent und die Pen- sionsreform nur 0,4 Prozent BIP-Zu- wachs innerhalb der nächsten drei Jahre bringen. Italiens Sorgen sind mehr als nur die Schulden Italiens wirtschaftliche Probleme be- dürfen definitiv tiefgreifende und struk- turellere Reformen, als die von der Re- gierung angestrebte Einlösung großzü- giger Wahlversprechen. Das reale BIP pro Kopf des südeuropäischen Landes hat sich seit dem Jahr 1999 kaum ver- ändert. Die Arbeitslosigkeit ist zwar ge- sunken, zählt aber immer noch zu einer der höchsten in der Europäischen Union. Die wirtschaftliche Produktivität ist wäh- rend der Krisenjahre gefallen und rührt sich seither kaum vom Fleck. Und auch die Armut und Perspektivenlosigkeit ha- ben sich als Resultat der Krise stark er- höht, was die Migration junger, gut aus- gebildeter Italiener stark vorantreibt. Für eine Lösung all dieser Probleme benötigt es umfassende und langfristige Reformen, die sich durch die angehäuf- creditS: begestellt,Archiv, future matters/Jorma Müller Photography,pixabay Brennpunkt | Italien 12 | GELD-MAGAZIN – mai 2019 Italiens Wirtschaft wächst kaum und die Schulden steigen weiter. Mit der revidierten Neuverschuldung von 2,4 Prozent heißt es wieder zurück an den Start bei den harten Haushaltsverhandlungen mit der EU. Doch eine Einigung ist nicht abzusehen, der Junk-Status italienischer Staatsanleihen rückt in bedrohliche Nähe! Moritz Schuh Too big to fail? der Organisation für wirtschaftliche Zu- sammenarbeit und Entwicklung (OECD) geht. Denn in ihren Anfang April ver öffentlichten Prognosen zeichnen sie ein noch schlechteres Bild. Prognostiziert der IWF, dass die italienische Wirtschafts leistung 2019 auf ein minimales Wachs- tum von 0,1 Prozent zurückgehen wird, geht die OECD sogar von einer Schrump- fung von 0,2 Prozent aus. Schuld dafür geben die OECD und der IWF vor allem der Wirtschaftspoli- tik der Regierungskoalition. Mit zwei we- sentlichen Reformen, einem Grundein- kommen (780 Euro für armutsgefährdete Arbeitsuchende) und einer möglichen Frühpensionierung mit bereits 62 Jah- ren, will die Regierung auf die jahrelan- ge wirtschaftliche Stagnation und die ge- stiegene Armut reagieren. In Verbindung mit dem Ende April zusätzlich beschlos- senen „Wachstumsdekret“, bestehend aus Steuererleichterungen und Subven- tionen, hofft man nämlich Investitionen und Nachfrage zu fördern und so der Re- zession entgegenzuwirken. Populistische Hoffnungen Die OECD und der IWF zweifeln je- doch an der Wirksamkeit der Reformen, da für sie nicht die fehlende Nachfrage, sondern die Produktivität den Schlüs- „ Italiens BIP pro Kopf hat sich seit der Euro- Einführung im Jahr 1999 kaum verändert. “ OECD
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