GELD-Magazin, April 2019

S ehen wir uns doch gleich an, mit wem wir es zu tun haben: Angst ist neben Wut, Trauer, cham und Freude eines der fünf Grund- gefühle des Menschen. Als ob dem nicht genug wäre, dass uns Mutter Natur also mit viermal so vielen unangenehmen wie angenehmen Grundgefühlen ausstattet, ist Angst auch noch das wirkungsmäch- tigste dieser fünf Grundgefühle – mit an- deren Worten: Wir Menschen sind ziem- lich angstgesteuerte Wesen. In vielerlei Hinsicht war diese Eigenschaft im Laufe der Evolution für unsere Spezies zweifel- los nützlich, ja sogar überlebensnotwen- dig. Den Säbelzahntiger hat wohl nur zu streicheln versucht, wer keine Angst ver- spürte, überlebt wurde es selten, und so sind diese Gene nicht sehr weit verbrei- tet. Angst kann aber auch ein enormes Hindernis für unsere weitere Entwick- lung darstellen, nicht zuletzt deshalb, weil sie nur bedingt durch unsere Ver- nunft kontrolliert werden kann. Bereits der Vater der Psychoanalyse, Sigmund Freud, stellte fest, dass der Mensch ein vorwiegend irrational gesteuertes Wesen ist. Er fand auch heraus, dass Massen- angst bzw. -panik noch stärker von nicht rationaler Dynamik geprägt ist. Diese Er- kenntnisse gelten heute in der modernen (Wirtschafts-)Psychologie wie auch neu- rowissenschaftlich als bestätigt. VORSICHT VERSUS ANGST Vor einigen Jahrtausenden war es si- cherlich von Vorteil, wenn in einer Grup- pe von Menschen einige in der Lage wa- ren, zu antizipieren, dass der nächste Winter kommen wird und das Anlegen von Nahrungsreserven für die Winterzeit daher unter Umständen lebensrettend sein kann. Andererseits war es gewiss auch von Bedeutung, dass es Menschen in dieser Gruppe gab, die den Mut hat- ten, ihre Angst zu überwinden und auch noch über den nächsten Hügel zu ge- hen, in der Hoffnung, dass dort reichere Jagdgründe zu finden sind (eine Grup- pe von ausschließlich Vorsichtigen wird diese Optionen eben nicht entdeckt ha- ben). Dies verdeutlicht den Unterschied zwischen Angst und Vorsicht sowie de- ren Vor- und Nachteile: Vorsicht ist das Ergebnis eines antizipierenden Denkpro- zesses, im Gegensatz zu Angst, im Regel- fall somit ein rationales Element. Zuviel der Vorsicht kann sich allerdings auch entwicklungshemmend auswirken. WAS HAT DAS MIT MEINER GELDANLAGE ZU TUN? Anlageexperten erzählen mir, der ich aus dem medizinischen Bereich stam- me, immer wieder die gleiche Geschich- te: Anleger, vor allem private, investie- ren nicht selten zu spät in profitable Ver- anlagungen, quasi wenn es schon die Spatzen von den Dächern pfeifen und sich der Hype im ungünstigeren Fall viel- leicht überhaupt bereits dem Ende zu- neigt. Ob man ein solches Verhalten als „Gier“ oder „Angst, nicht dabei zu sein“ bezeichnet, spielt im Grunde keine Rolle, es handelt sich um eine Form massendy- namischen Verhaltens. Dem aber nicht genug, veräußern Anleger ihr Investment ebenso wenig selten schon beim ersten kräftigeren Rückschlag, realisieren da- durch Verluste und entledigen sich jegli- cher Möglichkeit einer Kurserholung. Es ist ein wenig wie das Bild einer Steinzeit- horde: Hinter zwei Hügeln warten neu zu entdeckende Jagdgründe, aus lauter Ängstlichkeit trauen sich manche aller- dings erst dann mitzugehen, wenn schon viele am Weg sind – kaum ist in sieben km Entfernung das erste Raubtier zu be- fürchten, laufen sie in Panik retour und verlieren dabei auch noch glatt ihren Rei- seproviant. Freilich gibt es heute keine Bedrohung durch Säbelzahntiger oder Ähnliches mehr. Moderne Bedrohungssi- tuationen sehen im Regelfall anders aus, creditS: beigestellt, freshidea/stock.adobe.com brennpunkt | Investments & Psychologie 16 | GELD-MAGAZIN – April 2019 Angst ist so alt wie der Mensch selbst , eigentlich noch viel älter. Dieses wesentlich von unseren alten Reptilienhirnanteilen gesteuerte Gefühl, leitet uns weit mehr, als den meisten von uns bewusst ist, und nicht selten in die Irre. Warum wir auch in unseren Anlageentscheidungen von ihrer irrationalen Macht gefesselt sind und was wir dagegen tun können. Gastbeitrag von Chefarzt Dr. med. Georg Psota Angst kann Ihre finanzielle Gesundheit gefährden zur person: Georg Psota, Facharzt für Psy- chiatrie und Neurologie, Chef- arzt der Psychosozialen Dien- ste in Wien, Präsident von pro mente Wien, Past Präsident der Österreichischen Gesell- schaft für Psychiatrie und Psy- chotherapie (ÖGPP), Ordent- liches Mitglied im Landessa- nitätsrat Wien, Autor von Sachbüchern und zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen. Zuletzt bei Residenz erschienen: „Das weite Land der Seele“ (2016).

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