GELD-Magazin, Februar 2019

Problemlösung als am persönlichen Er­ folg orientiert – so zumindest die Theorie. Handelt es sich hierbei um eine schlüs­ sige Folgerung? Heidi Glück, Kommuni­ kationsexpertin und Beraterin von Regie­ rungen, heimischen Unternehmen sowie internationalen Konzernen, erklärt im Gespräch mit dem GELD-Magazin: „Ich kann mir durchaus vorstellen, dass nach dem glanzlosen Abtritt Camerons kein Mann in die Bresche gesprungen ist, weil der ungewisse Ausgang des Brexit-Aben­ teuers stark abschreckend gewirkt hat. Das wollte sich keiner antun. Männer suchen stärker nach Garantien, Frauen sind weniger eitel und erfolgsbezogen – ohne verallgemeinern zu wollen. May hat sich jedenfalls hingegen ziemlich tough vorne hingestellt und das Ruder über­ nommen.“ Gefahr des Tunnelblicks Die Expertin ortet bei May sowohl ty­ pisch weibliche Eigenschaften, als auch Charakterzüge, die für Frauen eher un­ typisch sind: „Sie hat eine gewisse Stur­ heit inklusive Tunnelblick angenommen. Ich meine, dass sie prinzipiell einen gu­ ten Ausstiegsvertrag für beide Seiten – Großbritannien und die EU – ausgehan­ delt hat. Allerdings hat sie wohl auch den Dialog in den eigenen Reihen und mit ihren Gegnern zu spät gesucht.“ Wo­ bei man May zugestehen muss, dass sie es mit kei­ nen einfachen Kontra­ henten zu tun hat. An erster Stelle ist hier Oppositionsführer Jeremy Corbyn zu nennen. Er wird aufgrund seiner orthodoxen so­ zialistischen Einstellung schon ger­ ne einmal auch als „Londoner Lenin“ bezeichnet. Dass das nicht extrem übertrieben ist, lässt dieses Zitat vermuten: Brüssel (ge­ meint ist natürlich die EU) „ist nichts an­ deres als eine kapitalistische Zusammen­ rottung gegen die Arbeiterklasse“ („Die Presse“, 20.1.2019). Bei derart aufgela­ dener Rhetorik ist es nachvollziehbar, das May es schwer hat, eine vernünftige Gesprächsbasis zu finden. Kommunika­ tiosspezialistin Glück attestiert der Pre­ mierministerin jedenfalls „großen Mut und großes Selbstvertrauen. Sie weist ziemliche Steherqualitäten auf und wirkt sehr entschlossen. May steht unter enor­ mem Druck, ihr bläst ein eisiger Wind von allen Seiten entgegen: Aus der EU, der Opposition, der eigenen Partei und der Presse. Wie sie das schon eine so lan­ ge Zeit durchhält ist eindrucksvoll.“ Im Sinne von Großbritannien, der gesam­ ten EU und auch May selbst bleibt ihr zu wünschen, dass sie ihre „Steherqua­ litäten“ beibehält, denn gleichgültig, wie der Brexit ausgeht – sie wird das Gesicht sein, das immer mit diesem historischen Ereignis verbunden sein wird. Oder vielleicht kommt es doch gar nicht zur Flucht Großbritanniens aus der Union? Die Möglichkeit eines Exit vom Brexit besteht nach wie vor, und eine Mehr­ heit der Briten spricht sich sogar für ei­ nen Rückzieher aus. Die meisten poli­ tischen Beobachter glauben zwar nicht an diese Lösung, aber das Ja zum Bre­ xit war schließlich auch von der überwie­ genden Zahl der Experten als sehr un­ wahrscheinlich eingeschätzt worden. Der bekannte österreichische Ökonom Ga­ briel Felbermayr, er übernimmt im März die Präsidentschaft des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, meint dazu abschlie­ ßend: „Das Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus der EU ist für alle Be­ teiligten eine Katastrophe. Um die Schä­ den zu minimieren, braucht es für beide Seiten eine Lösung, die einen Hard Bre­ xit abfedert. Beide Seiten müssen Zuge­ ständnisse machen. Die beste Lösung wäre aber ein Exit aus dem Brexit.“ Brennpunkt | Brexit und Theresa May „ Wie May den eisigen Wind von allen Seiten aus- hält, ist eindrucksvoll “ Heidi Glück, Kommunikationsexpertin „ Die beste Lösung für alle Beteiligten wäre ein Exit aus dem Brexit. “ Gabriel Felbermayer, Ökonom credit: beigestellt brexit aus versehen Paul J.J.Welfens.Verlag: Springer. 568 Seiten. ISBN: 978-3-658-21457-9 2015 erreichten die Nettozahlungen des Vereinigten Königreichs ihren Höhepunkt. nettobeitrag groSSbritanniens zum eu-budget Quelle:EUKommission,Januar2019 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 0 -3 -6 -9 -12 o,ooo% -0,125% -0,250% -0,375% -0,500% in Prozent des Bruttonationaleinkommens in Mrd. Euro 10 | GELD-MAGAZIN – februar 2019

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