Energiekrise nur aufgeschoben?
Der nächste Winter kommt bestimmt. Erst dann könnte die Energieversorgung wirklich hart werden, befürchten Experten. Österreich und Europa suchen fieberhaft nach Alternativen zu Putins Gas, um die Energiekrise abzuwenden.
Der heurige Winter verlief über weite Strecken mild, die Speicher sind gut gefüllt. Allerdings ist damit die Energiekrise noch nicht überwunden, wie Justin Thomson, Investmentexperte bei T. Rowe Price, meint: „Europa steht immer noch vor der großen Herausforderung, seinen Energiebedarf im Winter 2023/2024 und darüber hinaus zu decken. Die Zeit, in der Russland als Hauptlieferant des europäischen Energiebedarfs fungierte, ist vorbei. Europas künftiger Energiebedarf wird auf andere Weise gedeckt werden müssen.“
LNG: Teure Lösung
Und hier beginnt die Krux, denn langfristig sollen erneuerbare Energien die russischen Importe ersetzen, aber diese Aussicht ist noch einige Jahre entfernt. Als kurzfristige Alternative steht Flüssiggas nur begrenzt zur Verfügung, Thomson dazu: „Wenn Europa im Frühjahr noch über 50 Mrd. m3 Gasvorräte verfügt, muss es erneut eine sehr große Menge LNG anziehen, um die Zeit bis zum Frühjahr 2024 sicher zu überbrücken. Bei der derzeitigen Nachfrage würde dies bedeuten, dass Europa 30 Prozent des weltweiten LNG-Marktes bzw. 35 Prozent des weltweiten Spotmarktes an sich ziehen müsste, wenn man die bereits vertraglich vereinbarten Mengen herausrechnet.“
Die weltweite Nachfrage nach LNG dürfte laut dem Experten 2023 steigen, vor allem wenn China seine „Null-COVID“-Politik lockert. Dabei ist LNG bereits jetzt sehr teuer, man muss kein Prophet sein, um vorherzusehen, dass die Preise weiter anziehen werden.
Harter Winter
Die Prognosen fallen somit eher düster aus: „Der nächste Winter wird für Europa wahrscheinlich härter werden als der aktuelle“, befürchtet auch Bobby Chada, Anlageexperte bei der Capital Group. Die Begründung: „Bis Mitte August 2022 hat Russland noch Gas nach Europa geliefert, es ist unwahrscheinlich, dass das auch 2023 noch der Fall sein wird. Der nächste Winter wird zu schaffen sein, aber die Gasversorgung wird für Europa komplexer.“
Chada rechnet damit, dass der Gaspreis – trotzt einer Entspannung in den letzten Monaten – viel höher sein wird als wir das in der Vergangenheit gewohnt waren: Eine Verdoppelung bis Verdreifachung im Vergleich zur Zeit vor der Ukraine-Invasion erscheint ihm möglich. Ebenfalls nicht sehr optimistisch äußerte sich Stefan Breintner, Fondsmanager bei DJE in seinem Jahresausblick: „Doom-Szenarien von Blackouts haben sich glücklicherweise nicht erfüllt. Mittelfristige Schätzungen beim Gaspreis lassen allerdings wenig Zuversicht mit Blick auf energieintensive Unternehmen in Europa aufkommen. Das Energie-Thema ist noch nicht gelöst und kann über den nächsten Sommer und Herbst zurückkommen.“
Bitte sparen!
Wie sehen nun heimische Experten die Situation? Franz Angerer, Geschäftsführer der Österreichischen Energieagentur, meint: „Wir müssen davon ausgehen, dass das Angebot an Gas 2023 noch kleiner sein wird als 2022, denn russische Mengen bleiben knapp und das vorhandene LNG könnte umkämpfter werden. Unser wichtigster Hebel, um den Druck des noch kleiner werdenden Angebots zu verringern, bleibt, den Gasverbrauch in Europa auf gesunde Art und Weise zu reduzieren. Gesund bedeutet, ohne die Produktivität der Wirtschaft oder den Komfort von Haushalten über Gebühr einzuschränken.“
Gelingen könne das kurzfristig durch effektives Energiesparen, mittel- und langfristig durch Energieeffizienz-Maßnahmen in der Industrie, die Sanierung von Gebäude und einen dauerhaften Gasausstieg.
Führt Krise zu Blackouts?
Und wie steht es mit der Gefahr von Blackouts? Christoph Schuh, Unternehmenssprecher bei Austrian Power Grid, beruhigt: „Die Frage, ob genügend Strom verfügbar ist, ist strikt von jener eines plötzlich eintretenden Blackouts zu unterscheiden. Bereits im Stresstest 2022 wurde nachgewiesen, dass trotz einer herausfordernden, energiewirtschaftlichen Gesamtlage keine erhöhte Blackoutgefahr besteht. Etwaige Strommangellagen treten nicht plötzlich ein, sondern sind gewissermaßen vorhersehbar und mit geeigneten Maßnahmen betrieblich managebar – bis hin zu den gesetzlichen Maßnahmen der Energielenkung.“
Teure Energie
Auch wenn die große Krise abgewehrt werden kann, bleibt die Frage, wann Energie für den Endverbraucher wieder billiger werden könnte? E-Control-Expertin Jasmin Mensik kann hier Hoffnungsschimmer erkennen. Allerdings: Einen Preis unter zehn Cent pro Kilowattstunde, der in den vergangenen Jahren einem gängigen Strompreisniveau für Haushalte entsprochen hat, sieht die Spezialistin in den nächsten Monaten nicht auf uns zukommen.
Lesen Sie die komplette Story
in der GELD-Magazin Ausgabe Nr. 1/2023.