China: Stockendes Wachstum
In einem überraschenden Schritt hat Chinas Zentralbank am 22. Juli die Leitzinsen gesenkt. Generell werden die Schienen auf quantitative Lockerung gestellt, um das stockende Wirtschaftswachstum anzukurbeln.
Chi Lo, Marktstratege bei BNP Paribas, hält allerdings ein solches Vorgehen nicht für zielführend: „Chinas Wirtschaftswachstum stockt – und die Versuche der People’s Bank of China (PBoC), mithilfe von Offenmarktgeschäften, der mid-term lending facility (MLF) sowie verpfändeten Zusatzkrediten (PSL) die Geldmenge zu erhöhen und so die Konjunktur anzukurbeln, bleiben ohne Erfolg. Die Rufe einiger Analysten nach quantitativen Lockerungsmaßnahmen halten wir dennoch für verfehlt: Diese würden die Situation in China nur verschlimmern.“
Bedingungen nicht gegeben
„Die Zinssätze in China liegen auch nach der Zinssenkung noch weit über null. Die PBoC hat also noch Spielraum für weitere Zinssenkungen, bevor qualitative Lockerungsmaßnahmen notwendig werden. Erst kürzlich hat die Notenbank die umlaufende Geldmenge erhöht, indem sie Staatsanleihen auf dem offenen Markt gekauft hat – doch dies stellt keine quantitative Lockerung dar, denn der Handel mit Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt beeinflusst nicht die Bilanzen. Dabei handelt es sich um einen sogenannten „operation twist“– eine Methode, die gelegentlich auch von der Fed angewendet wird. Damit können Währungshüter die Zinsen auf lange Sicht senken, indem sie kurzlaufende Wertpapiere verkaufen und gleichzeitig langlaufende Anleihen kaufen – und umgekehrt, wenn sie die Zinsen erhöhen wollen. Die erhöhten Bilanzen dagegen stammen von den MLF-Kreditvergaben und Wiederverleihungen, da die PBoC auf Anweisung Pekings hin gezielt Geld in bestimmte Sektoren und Banken leitet. Quantitative Lockerungen wären nur dann erforderlich, wenn wir in China Anzeichen einer Bilanzrezession sehen würden und Verbraucher und Unternehmen ihre Schulden nicht abbauen könnten. China wäre dann in einem Sumpf aus Ausgaben- und Investitionsengpässen gefangen. Dafür gibt es zwar einige Anzeichen, doch wir sehen weder massive Rückgänge von Vermögen noch einen weiträumigen Zusammenbruch des Finanzwesens.“
Hohe Kosten, geringer Nutzen
„Die wirtschaftlichen Auswirkungen und die hohen Kosten quantitativer Lockerungen werden oft unterschätzt. Solche Maßnahmen zielen darauf ab, durch die Inflation von Vermögenswerten mehr Wohlstand zu schaffen, indem Verbrauch und Investitionen angeregt werden. Da in China jedoch das Verbrauchervertrauen schwächelt, bleibt die zusätzliche Liquidität ungenutzt – und Konsum und Investitionen bleiben auf einem niedrigen Niveau.
Auch gehen wir nicht davon aus, dass eine Schwächung des Renminbi Yuan (RMB) durch die quantitative Lockerung den Export anregen, wirtschaftliche Kapazitäten ausnutzen und die Deflation beenden könnte. Der Wechselkurs des RMB spielt für die Wettbewerbsfähigkeit Chinas keine wesentliche Rolle – das zeigen die wachsenden Exportmarktanteile Chinas sowie der Widerstand westlicher Volkswirtschaften gegen seine führende Wettbewerbsposition bei Elektrofahrzeugen. Seit der Finanzkrise 2007/2008 sind Exporte zudem nur noch ein sekundärer Motor für Chinas Wirtschaftswachstum, tatsächlich waren sie in einigen Jahren sogar eine Wachstumsbremse. Wenn Chinas Exporte das Wachstum des BIPs steigern sollen, müssten sie sehr hoch sein – und der RMB-Wechselkurs dafür um 20 bis 40 Prozent fallen. Eine solche Abwertung würde die Handelsspannungen weiter verschärfen und die globalen Märkte ins Chaos stürzen.“
Chinas Vertrauensproblem
„Da die Zinssätze positiv sind, eignen sich traditionelle geldpolitische Instrumente besser, um Chinas wirtschaftliche Probleme zu lösen. Seit der Covid-19-Pandemie versagen die Transmissionsmechanismen der Zentralbank. Peking müsste die Geldpolitik über einen längeren Zeitraum lockern, um die gleiche Wirkung auf das Wachstum zu erzielen wie in früheren Marktzyklen. Dazu muss Peking seine „implizite Garantie“ weiter reduzieren und die Zinssätze liberalisieren.
Zudem muss die chinesische Regierung Risiken im Finanzsektor bekämpfen, die durch moralisches Fehlverhalten und Ineffizienz entstehen. Vertrauensverlust, unethisches Verhalten von Unternehmen und regulatorische Willkür verhindern, dass die aggressiven Maßnahmen der PBoC Wirkung zeigen und sich die Kreditvergabe nachhaltig erholt. Quantitative Lockerungsmaßnahmen beheben dieses Problem nicht. Nötig wären mikroökonomische und strukturpolitische Lösungen.“
BNP Paribas Asset Management/HK