abrdn Kommentar: Wahlen Deutschland
Die gestrige Bundestagswahl hat ein klares Ergebnis hervorgebracht: Die CDU geht als stärkste Kraft hervor und steht nun im Mittelpunkt der Regierungsbildung. Mit Blick auf die politischen und wirtschaftlichen Implikationen analysieren die Experten von abrdn Investments in den folgenden Marktkommentaren, welche Entwicklungen sich für die Finanzmärkte abzeichnen könnten.
Ben Ritchie, Head of Developed Market Equities bei abrdn, kommentiert:
„Anleger werden den Ausgang der deutschen Wahlen begrüßen, der relativ marktfreundlich ausgefallen ist. Friedrich Merz wird die nächste Regierung aus der konservativen Mitte führen. Da die SPD und die CDU/CSU zusammen über 50% der Sitze im Parlament haben, sollte es möglich sein, eine Regierungskoalition aus zwei Parteien zu bilden, was sowohl die Koalitionsverhandlungen erleichtern als auch höchstwahrscheinlich zu einer marktfreundlicheren Regierung ohne die Grünen führen wird. Wichtig ist auch, dass dadurch einige unwahrscheinliche, aber folgenschwere Negativszenarien ausgeschlossen werden, wie z. B. ein stärkeres Abschneiden der AfD oder die Unfähigkeit der etablierten Parteien, eine Mehrheitsregierung zu bilden.
Das Ergebnis macht allerdings eine Reform der Schuldenbremse unwahrscheinlich, da die etablierten Parteien nicht in der Lage sind, die erforderliche Zweidrittelmehrheit zu erreichen, auch wenn dies durch eine Zusammenarbeit mit der Linken möglich wäre. Viel wird jedoch von den Koalitionsverhandlungen abhängen und letztlich davon, ob Friedrich Merz in der Lage ist, eine innovative Politik zu gestalten, die sowohl wirtschaftsfreundliche Reformen vorantreibt als auch die Finanzierung der künftigen Verteidigungsausgaben, die Unterstützung der Ukraine und die Energiepolitik sicherstellt.
Wir würden dies jedoch als einen positiven Schritt betrachten, der eine günstigere Bewertung europäischer Aktien für internationale Anleger unterstützt.“
Alex Everett, Investment Manager, Nominal Rates Team bei abrdn, kommentierte die Auswirkungen auf die festverzinslichen Märkte:
„Die Märkte für festverzinsliche Wertpapiere werden sich auf zwei Fragen konzentrieren: Kann Deutschland Geld ausgeben und ist Friedrich Merz eine europäische Führungspersönlichkeit? Forderungen vor der Wahl deuten darauf hin, dass Friedrich Merz der Herausforderung der Führung gewachsen ist (trotz seiner mangelnden Erfahrung), aber die Frage der Ausgaben bleibt offen.
Friedrich Merz hat versprochen, schnell zu handeln, um die Wachstumsschwäche Deutschlands zu bekämpfen – die Ankündigung von Investitionen in die deutsche Industrie wird eine hohe Priorität haben. Dies könnte jedoch durch Kürzungen bei den Leistungen für Migranten finanziert werden, um die finanzkonservativen Kräfte in der CDU/CSU zu besänftigen und auf das starke Abschneiden der AfD zu reagieren.
Mehr Ausgaben werden für die Verteidigung erwartet, insbesondere nach den überraschend offenen Äußerungen von Friedrich Merz zur Unterstützung der europäischen Sicherheit in Abwesenheit der USA. Allerdings wird die parlamentarische Zusammensetzung die Auswirkungen auf die deutschen Ausgaben begrenzen – es wird erwartet, dass die Sperrminorität von AfD und Linken Vorschläge zur Änderung der Schuldenbremse zu Fall bringen wird. Stattdessen sind höhere Verteidigungsausgaben über außerbilanzielle Instrumente denkbar, und es könnte weitere Haushaltsunterstützung für gemeinsame EU-Investitionen geben.
Die pro-europäische und wirtschaftsfreundliche Haltung von Friedrich Merz dürfte sich zunehmend positiv auf die Wachstumsaussichten auswirken. Deutschland ist zwar angeschlagen, aber immer noch die wichtigste europäische Volkswirtschaft, so dass selbst eine bescheidene Stimmungsverbesserung weitere Auswirkungen haben könnte. Wir erwarten eine weitere Aufwärtsbewegung der Zinskurve und ein weitgehend günstiges Umfeld für die Spreads der europäischen Länder, sofern es nicht zu weiteren geopolitischen Schocks kommt.“
Lizzy Galbraith, politische Ökonomin bei abrdn, fügte hinzu:
„Friedrich Merz wird ein angeschlagenes Wirtschaftsmodell und eine Reihe geopolitischer Herausforderungen übernehmen. Sein politisches Programm wird sich wahrscheinlich auf Steuersenkungen und Deregulierung, Energiekosten und Versorgungssicherheit sowie die europäische Verteidigungsposition konzentrieren. In seiner Siegesrede versprach er, „Europa so schnell wie möglich zu stärken, um … die Unabhängigkeit von den Vereinigten Staaten zu erreichen“. Nach dem ersten Ergebnis kündigte der EU-Ratspräsident, António Costa, ein Sondertreffen der Staats- und Regierungschefs am 6. März in Brüssel an, bei dem die Themen „Ukraine und Verteidigung“ im Mittelpunkt stehen sollen.
Eine verfassungsrechtliche Reform der Schuldenbremse wird allerdings durch eine mögliche Sperrminorität von einem Drittel im Bundestag erschwert, da die Alternative für Deutschland (AfD) und Die Linke zusammen 215 Sitze haben.
Während die AfD eine Reform der Schuldenbremse ablehnt, ist Die Linke offen für eine Reform zur Erhöhung der Investitionsausgaben, lehnt aber höhere Verteidigungsausgaben ab.
Wir gehen davon aus, dass die neue deutsche Regierung wirtschaftsfreundlicher sein und einige der zahlreichen strukturellen Probleme der Wirtschaft angehen wird. Während eine Reform der Schuldenbremse zur Erhöhung der Investitionsausgaben weiterhin möglich ist, könnte die Zusammensetzung des Bundestages eine deutliche Erhöhung der Verteidigungsausgaben erschweren.“
abrdn Investments/SJ