Deutschland: Die neue Agenda
Die hochgespielte Gefahr eines „Linksrutsches“ in Deutschland ist gebannt. Aber nach der Wahl ist bekanntlich vor der Wahl. Was steht bei unserem Nachbarn jetzt auf der wirtschaftlichen und politischen Agenda?
Das Heulen und Zähneklappern vor der deutschen Bundestagswahl war groß: Viel war von „Enteignung“ oder einer „Linkswende“ zu hören. So ist es bekanntlich nicht gekommen. Offensichtlich wird die Auswirkung von Urnengängen, vor allem auf die Börse, überschätzt.
„Kurze Beine“
Marcus Hüttinger, Marktstratege beim Vermögensverwalter GANÉ, hatte schon vor dem 26. September ein bedachtes Kommentar verfasst: „Kapitalmärkte kehren nach dem Wahlergebnis meist schnell zu den vorher dominierenden Trends zurück. Politische Börsen haben kurze Beine.“ Entscheidend für die langfristige Performance von Aktien ist laut dem Experten weniger die mögliche Überraschung eines Wahlergebnisses, sondern vielmehr, ob mit der Wahl ein Bruch oder eine Aufrechterhaltung der langfristigen Kerntreiber einhergeht. Und ein solcher Bruch scheint in Deutschland nicht in Sicht.
Hüttinger im Gespräch mit dem GELD-Magazin: „Gewinner-Unternehmen können sich außerdem auf neue politische Rahmenbedingungen einstellen. Sie werden auch nach der Bundestagswahl ihre Erfolgsgeschichte fortschreiben. Für GANÉ sind das Unternehmen, die hohe Cash-Flows aufweisen und so für zukünftige Investitionen und Dividenden gerüstet sind.“
Überthema Klimaschutz
So viel zum Börsegeschehen, welche Themen stehen nun nach der Ära Merkel auf der politischen Agenda? Ganz weit oben ist sicherlich der Kampf gegen die Erderwärmung anzusetzen. Wobei die Umweltschutz- und Entwicklungsorganisation Germanwatch meint, dass die Wahl das politische Koordinatensystem zugunsten des Klimaschutzes verschoben hat. „Dieser war für die meisten Wählerinnen und Wähler sowie alle demokratischen Parteien das zentrale Thema dieser Wahl. Alle demokratischen Parteien haben sich zum 1,5 Grad-Limit, zur Klimaneutralität bis spätestens 2045 und zu einer starken Beschleunigung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien bekannt – und dafür sind sie auch gewählt worden. Daran werden sie sich nun messen lassen müssen“, so Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch.
Agenda: Wohnen, Jobs, Digitalisierung
Andreas Billmeier, Volkswirt bei Western Asset Management, fügt hinzu: „Viele dringende Aufgaben werden sich daraus ergeben, wie die neue Regierung die Generationenherausforderung des Klimawandels angehen will. Dies kann mit marktwirtschaftlichen Instrumenten oder auf interventionistischer Weise geschehen, je nachdem, welcher Partei es gelingt, den größten Einfluss auf den Koalitionsvertrag zu nehmen. Es gibt aber auch längerfristige Herausforderungen, die vom Klimawandel einigermaßen unabhängig sind: die Digitalisierung, der Mangel an bezahlbarem Wohnraum in Großstädten, ein Arbeitsmarkt, der überwiegend Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor schafft, etc.“
Bekenntnis zu Europa
Es herrscht also Handlungsbedarf. Mehr Engagement wäre auch auf internationaler Ebene notwendig, hier hat Merkel auf das Werben von Frankreichs Präsident Macron für „mehr Europa“ zurückhaltend reagiert. Die nächste deutsche Regierung sollte unter dem Motto stehen: Frage nicht, was du für Deutschland machen kannst, sondern, was Deutschland für Europa machen kann.